forum-stimme, animiert Zur Startseite von forum-stimme.de
Übersicht über eine Vielfalt von
Themen im Bereich der menschlichen Stimme

Zu den Themenlisten
Wissen / Journal / Praxis

Liste von Stimm- und Sprechtrainern sowie Gesangslehrern
in Deutschland
mit Kurzportraits


HINWEIS: Wenn Sie per Weiterleitung auf diese Seite gelangt sind, aktualisieren Sie bitte jetzt von dieser Seite aus Ihre Daten (Favorit bzw. Lesezeichen / Notiz der Seiten-Adresse (URL) etc.).
Diese Seite wird demnächst nicht mehr unter der alten Adresse (URL) erreichbar sein.

ERRATA VOCOLOGICA

10 Fehler und 7 Fazits

Heinz Stolze, März 2005, letzte Änderung am 15.10.2012

in www.forum-stimme.de


ERRATUM 7: FREQUENZDEFINITION - GRUNDFREQUENZ UND FREQUENZEN EINES TONES, SPEKTRUM



7.1 Die Aussage

In vielen Büchern, Vorlesungen etc. ist folgendes zu erleben: Zunächst hat der stimmhafte Ton konstanter Tonhöhe eine (einzige) Frequenz, die als Kehrwert der Periodendauer definiert wird. Dies wird üblicherweise auch als die Definition von Frequenz schlechthin dargestellt. Dann (4 Seiten weiter oder in der übernächsten Vorlesung) hat ein solcher Ton ein ganzes Spektrum von Frequenzen. Üblicherweise wird bezüglich des Spektrums von einer Analyse (Frequenzanalyse) geschrieben oder gesprochen. So richtig erklärt wird sie in den Stimm- und Sprechwissenschaften im allgemeinen nicht. Die Folge: eine klare Vorstellung, was ein Frequenzspektrum wirklich ist, findet man in diesem Bereich selten. Dabei spielt das Frequenzspektrum die zentrale Rolle bei der Beschreibung des Stimmklanges und seiner Wahrnehmung. Seitdem seine Berechnung auf Computern in Sekundenbruchteilen möglich ist, werden täglich tausende von Spektren erstellt und mehr oder weniger zutreffend interpretiert.

7.2 Zum Sachverhalt

7.2.1 Die weitverbreitete, unpassende Einführung des Begriffes "Frequenz"

Betrachten Sie zunächst ein Gebiet, das Ihnen vertraut ist: Längen und Postionen.

Der grüne Stab in der Abbildung hat eine bestimmte Länge, etwa 4 cm. Sicher kennen Sie die Möglichkeit, die Ausdehnung eines Körpers durch Koordinaten zu beschreiben. Dabei werden alle Positionen im Raum angegeben, die dieser belegt. Bei unserem Stab könnte das so aussehen: Wir legen eine Koordinatenrichtung "x" fest sowie ihren Nullpunkt und sagen dann, alle Orte des Stabes liegen im Bereich x=0 bis x=L. L ist dabei die Länge, also 4 cm. Die zughörige Kurve (Positionsbelegung des Stabes über der x-Koordinate) ist im Diagramm unten eingezeichnet.

Stellen Sie sich vor, jemand müsste dies einem grünen Männchen erklären und sagt folgendes:

"Also, Gegenstände beschreibt man auf unserem Planeten durch ihre Länge. Der Stab hat eine Länge von hier bis dort (er zeigt nacheinander auf die Enden des Stabes) von 4 cm. ... (Er erzählt über die Verwendung von Stäben und kommt dann wieder auf ihre Beschreibung zurück) . .. Hier habe ich Ihnen einmal die Längen unseres Stabes in einem Diagramm aufgetragen. (Er zeigt das angegebene Diagramm.) ..."

Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß es sich im Diagramm nicht um "Längen" handelt, sondern um Positionen, mit denen die Ausdehnung des Stabes beschrieben werden kann? Anders gesagt, die Positionen geben an, wo sich Material des Stabes längs einer Achse (Koordinate) befindet. Man könnte sagen, der Stab habe bei der Position 1 cm eine Kerbe. Aber die Formulierung, er habe bei der Länge 1 cm eine Kerbe ist erkennbar "schräg".

Die oben und im nächsten Absatz beschriebene Verwendung des Begriffes "Frequenz" in ganz verschiedenen Bedeutungen, wie sie sich in vielen Büchern findet, ist in ihrer logischen, bzw. mathematischen, Struktur ein 1:1-Abbild des Durcheinanders, das entsteht, wenn man nicht zwischen Position und Länge unterscheidet.

7.2.2 Beispiel: periodischer Schallverlauf (Ton)
Nehmen wir einen Ton mit periodischem Schallschwingungsverlauf: Das zeitliche Schwingungsmuster wiederholt sich nach der Periodendauer (z.B. 1/100 Sekunde) immer wieder. Nun kommt die Definition von "Frequenz": Den Kehrwert dieser Periodendauer nennen wir die Frequenz des Tones (z.B. 100 Hertz).
Anmerkung: Diese Größe ist analog zur Länge des Stabes in unserem obigen Beispiel mit dem grünen Männchen.

Man könnte "Frequenz" zwar so definieren - man sollte es aber keinesfalls, wenn man später über Spektren spricht und dabei den Begriff "Frequenz" im Sinne von "Positionen des Stabes" verwenden möchte.

Wir benötigen verschiedene Bezeichnungen für diese verschiedenen Begriffe. Welcher der Begriffe sollte anders benannt werden? Nun, der Begriff "Frequenz" wird in der modernen wissenschaftlichen Praxis vorwiegend im Sinne von "Koordinaten" (oben "Positionen" genannt) benutzt. Die einzelnen Frequenzen lassen sich als sinusförmige Teilschwingungen auffassen, die in der Summe den betrachteten Schwingungsverlauf ergeben. Analog dazu beschreiben die belegten Koordinaten Punkte, an denen sich Masse des Stabes befindet. Diese Massenbeiträge bilden in ihrer Summe den Stab. Die sinusförmigen Teilschwingungen bilden in ihrer Summe den Ton. Sowohl Massepunkte als auch Teilschwingungen sind übrigens im Prinzip abstrakte Ideen, die man nicht einfach für real gegeben halten darf.

Für den Kehrwert der Periodendauer eines Signales gibt es einen präzise passenden Begriff, nämlich "Periodenfrequenz". Eine anschaulichere Bezeichnung dafür ist auch: "Wiederholungsrate", auch "Wiederholungsfrequenz" könnte noch durchgehen.

Somit hat ein periodischer Ton eine Periodenfrequenz. Ihr wird sinnvollerweise kein Schallpegel zugeordnet! Wie sollte eine Wiederholungsrate auch einen Schallpegel besitzen. Zudem "hat" der Ton eine ganze Reihe von Frequenzen, deren Stärke (zugehörige Schwingungsamplitude ) sich in einem Spektrum darstellen läßt.
Üblicherweise wird im Spektrum der Schalldruckpegel (siehe unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Schalldruckpegel&oldid=106372394) über der Frequenz aufgetragen.

Unsere Analogie: Ein Stab hat eine Länge, belegt aber eine ganze Reihe von Orten (Positionen, Koordinaten). An den verschiedenen Orten könnte er auch eine verschiedene Dichte (=Masse pro Volumen) haben, die sich dann anlog einem Spektrum als Diagramm darstellen ließe. Über der Position (x-Koordinate) wird die Dichte aufgetragen. Der Länge des Stabes wird sinnvollerweise keine Dichte zugeordnet.

7.2.3 Grundfrequenz und Frequenzen eines periodischen Signales
Zur weiteren Klärung des Unterschiedes zwischen Priodenfrequenz und Frequenz betrachten wir das Schema für einen periodischen Schallverlauf unten.

Der Schallverlauf kann nur Frequenzen enthalten, die die Periodenstruktur einhalten. Dies sind die ganzzahligen Vielfachen der Periodenfrequenz. Also beispielsweise 100 Hz , 200 Hz, 300 Hz, 400 Hz etc. bei einer Periodenfrequenz von 100 Hz. <Link: warum das so ist>.
Diese Frequenzen sind im Diagram links dargestellt als Reihe von Strichen, die jeweils denselben Frequenzabstand haben. Die Größe dieses Abstandes entspricht der Periodenfrequenz.

Den Begriff der "Periodenfrequenz" haben wir aus unserer zeitlichen Betrachtung heraus definiert. Im Spektrum eines Tones spielt genau diese Frequenz, wie man in der Abbildung oben ersieht, eine grundlegende Rolle als "Basisdistanz zwischen den möglichen Frequenzen". Aus dieser frequenzlichen Betrachtung heraus wird sie als "Grundfrequenz" bezeichnet. Die Fähigkeit, diese verschiedenen "Betrachtungsweisen" miteinander verbinden zu können, ist grundlegend für das Verständnis von Schall und seiner Wahrnehmung. Mehr dazu ist unter 7.2.4 zu finden.

Nun müssen aber nicht alle möglichen Teiltöne bzw. deren Frequenzen (Reihe links in der Abbildung oben) enthalten sein. Ein Beispiel tatsächlich mit Schallenergie versehener Frequenzen ist rechts daneben angegeben. In diesem Beispiel ist die Grundfrequenz nicht als Teilton dabei. Ihr Wert entspricht der Frequenz des tiefsten möglichen Teiltones, nicht unbedingt des tiefsten faktischen Teiltones.

Die Grundfrequenz ist für das Spektrum also eine Kenngröße, die den möglichen Aufbau der Teitonstruktur angibt. Sie darf nicht als physikalisch vorhandene Schwingung definiert werden.

Eine sinnvolle Nomenklatur ist:

Anmerkung zu den gehörten Tonhöhen: auch wenn Teilton 1 in einem Ton der Stimme nicht vorhanden ist (wie üblicherweise bei Männerstimmen, die man perTelefon hört), hört man i.a. trotzdem die Tonhöhe die diesem Teilton entsprechen würde. Unser Wahrnehmungssystem kann sozusagen aus der Gesamtheit der gehörten Teiltöne die Grundfrequenz erkennen und die entsprechende Tonhöhe als Wahrnehmung generieren.
Der Teilton, dessen Frequenz der Grundfrequenz entspricht, wird auch als Grundton bezeichnet. Weitverbreitet ist die falsche Vorstellung, dass er für die Bildung der Tonhöhe zuständig ist, die höheren Teiltöne (Obertöne) für die Klangwahrnehmung. Richtig ist: der Grundton hat für sich allein gehört dieselbe Tonhöhe wie der gesamte Ton (sofern dieser harmonisch ist, also auf periodischer Schwingung beruht). Sowohl der Klangeindruck als auch die Tonhöhenwahrnehmung des Tones beruhen auf der Gesamtheit der Teiltöne.

7.2.4 Das Spektrum als Darstellung
Die real existierende Welt (Schallwelle) ist uns nicht in ihrer Vollständigkeit vorstellbar. Eine philosophische Formulierung ist: sie ist das, wie sie ist. Unsere Wahrnehmung davon ist im Grunde genommen etwas anderes. Andere Wesen und andere Menschen können durchaus andere Wahrnehmungen derselben Umgebung haben. Bei komplexen Dingen - wie der Stimme- ist es immer gut, sich darüber klar zu sein, daß die eigene Wahrnehmung nur eine Reaktion auf die Realität sein kann. Darüber läßt sich viel philosopieren, eines aber ist ziemlich unbestreitbar: In unseren Sinnesorganen erfolgt eine Darstellung unserer Umgebung. Basierend auf dieser Darstellung und unseren Vorerfahrungen bilden wir eine Wahrnehmung. Wer die Klänge der Stimme und ihre Wahrnehmung besser verstehen will, wird von einer ausführlichen Beschäftigung mit dem Thema "Darstellung" profitieren. Ein Schallsprektrum ist eine solche Darstellung. Sie ist vor allem deshalb so bedeutsam, weil sie der Darstellung von Schall im Innenohr weitgehend entspricht. Die historisch überlieferte Bezeichung des Spektrums als "Analyse" (Fourieranalyse) ist für die Beschäftigung mit der Stimme weniger hilfreich. Sie zeugt i.a. davon, daß man die Zeitdarstellung des Schalls mit der Realität gleichsetzt, die Frequenzdarstellung dagegen als sekundäre mathematische Behandlung derselben ansieht. Mit einem derart beschränkten Weltbild läßt sich nicht nur der Stimme schlecht beikommen.

Das hier angeschnittene Thema ist weit über das Themengebiet "Stimme" hinaus von Interesse. Eine ausführliche und allgemeinverständliche Darlegung finden Sie unter > Darstellung.


weitere ERRATA VOCOLOGICA