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Formanten

Heinz Stolze, Institut für Stimme und Kommunikation, Bremen

in www.forum-stimme.de

letztes update: 21.6.2007


Formant: ein Fachbegriff, der unklar ist
"Der Vokaltrakt weist mehrere Resonanzfrequenzen auf. Diese spielen die Hauptrolle bei der Ausprägung der Formanten. Ein Formant ist eine Frequenzregion, in der die dort hineinfallenden Teiltöne (Obertöne) besonders stark sind. Formanten sind die wesentlichen Elemente der Klangbildung. Je nach Lage und Stärke der Formanten hört man verschiedene Vokale und verschiedenes Timbre."
So stellt man die Formanten heutzutage üblicherweise dar, wenn man über Stimmerzeugung spricht oder schreibt. Historisch gesehen war der Begriff etwas anders eingeführt worden, und seit einigen Jahren ist noch eine sehr eingeengte, dafür aber präzise Definition hinzugekommen, die mit den ursprünglichen Vorstellungen aber wenig zu tun hat.

Hier sollen einige Aspekte der Begriffsdefinition und der gängigen Anwendungen des Begriffes behandelt werden. Weitere, ausführliche Informationen finden sich unter: > Formanten


Historische Definition, Frequenzbereiche mit bestimmter Wahrnehmungsqualität
Nach L. Hermann wird die Charakterisierung der Vokale durch bestimmte im Tonsystem feststehende Töne hergestellt, denen er den Namen "Formanten" gegeben hat ( in Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 36, 1894). Man darf wohl davon ausgehen, daß dies so zu verstehen sei, daß diese "Töne" zur Formung -daher Formant- der Vokalwahrnehmung beitragen. Die Idee ist i.w. richtig, und wird heute wie folgt gesehen: die Formanten sind definiert durch festliegende Frequenzregionen. Wenn Teiltöne (Obertöne) in eine solche Region fallen, tragen sie zur Empfindung eines bestimmten Vokales bei. Dabei sind vor allem zwei Formanten für jeden Vokal definierbar, mitunter reicht zur Wahrnehmung bestimmter Vokale auch nur ein Formant (Hauptformant) aus.

Die gegebene Definition orientiert sich also an der Wahrnehmung. Formanten beschreiben demnach einen Aspekt des Wahrnehmungsprozesses. Hermann von Helmholtz hat dies in seiner Lehre von den Tonempfindungen ausführlich untersucht. In moderneren Forschungen wurden systematisch variierte synthetische Klänge erzeugt - v. Helmholtz arbeitete mit Stimmgabeln und Resonatoren- , und so Formantenkarten für die verschiedenen Vokale und weitere stimmhafte Laute (gemeinsame Bezeichnung: Vokoide) erstellt.

Phänomenologische Definition: Region mit starken Teiltönen
In der Praxis der Stimmforschung hat sich inzwischen eine zwar verwandte aber doch grundsätzlich anders angelegte Definition etabliert. Bei der Analyse von Klängen bestimmt man die Stärke der Teiltöne und nennt Frequenzbereiche mit besonders starken Teiltönen (stärker als in der Umgebung) Formanten. Hierbei werden Formanten also phänomenologisch definiert, nämlich dadurch , daß sie in bestimmten Lauten auftreten. Natürlich fallen die Ergebnisse, also die entsprechenden Frequenzbereiche für Stimmlaute weitgehend zusammen, allerdings kommen höhere Formanten dazu, deren Wahrnehmungspendants weniger klar definierbar sind. Trotzdem ist aber genau genommen etwas anderes gemeint als bei der obigen, wahrnemungsorientierten Definition, und ich habe bereits viele Mißverständnisse aufgrund der Unklarheit der verschiedenen Definitionen erlebt. Basierend auf Klanganalysen wird der Begriff übrigens auch schon lange für Instrumentalklänge (vor allem Blasinstrumente) benutzt. Die Schumannschen Gesetze (1929) sind hier zu erwähnen. Schumann beschäftigte sich ausführlich mit der Frage, wie Instrumente anhand ihrer Formanten erkennbar sind. Formantverschiebungen mit der Lautstärke und der Tonhöhe spielen hier eine Rolle. Auch die Mischbarkeit von Orchesterintrumenten läßt sich anhand deren Formantstruktur verstehen, ebenso die Tatsache, daß Instrumente ab einer gewissen Tonhöhe ihren individuellen Charakter verlieren.

Definition anhand eines Modells der Stimmfunktion
In der modernen naturwissenschaftlich-technisch orientierten Vokologie wird der Begriff leider oft etwas unsensibel benutzt, dies mit der Vorstellung, ihn nun endlich präzisiert zu haben. Es heißt mitunter ohne Umschweife: die Polstellen der Filterfunktion (mit Dämpfung gerechnet: die Maxima) des Vokaltraktes sind die Formanten. Einfacher gesagt: die Resonanzen des Vokaltraktes sind die Formanten. Das heißt,

a) daß dieser Formantbegriff nur noch im Rahmen eines Modelles der Stimmfunktion sinnvoll ist

b) daß man ein Phänomen der Wahrnehmung oder eines Klangspektrums mit einer mathematischen Eigenschaft einer Kurve gleichsetzt, die unter idealisierten Bedingungen einen Aspekt der Stimmfunktion beschreibt. Wie problematisch dies ist, möge man sich an einem Vergleichsbeispiel klarmachen. Unter idealisierten Bedingungen gilt für die Beschleunigung eines Autos das einfache mathematische Modell: die Beschleunigung ist gleich dem Winkel "Alpha" des Gaspedalhebels (gemessen gegen die Ruhelage). Darf man deshalb sagen: "Der Winkel Alpha ist die Beschleunigung"? Eben nicht- allein schon weil ein Winkel keine Beschleunigung sein kann. Ebensowenig kann eine Polstelle ein Formant sein.

Auch die etwas akzeptablere Aussage: "die Mittenfrequenzen der Formanten seien die Frequenzen dieser Polstellen oder Maxima " (was mehr oder weniger genau zutrifft) muß doch streng auf das zugrundegelegte Modell beschränkt sein. Es kann keineswegs der mitunter vernehmbare Anspruch erhoben werden, anhand von Filterkurven den Formantenbegriff nun neu und bestens definiert zu haben.

Was tun ?
Man wird davon ausgehen müssen, daß sich diese Verschiedenheit der Definition wohl kaum beseitigen lässt. Daher ist es für Autoren, die über das Thema "Stimme" schreiben, unumgänglich, sich eindeutig auszudrücken, was sie mit Formanten meinen und darauf hinzuweisen, daß andere möglicherweise anderes damit meinen. Die Gegensätzlichkeit in den Definitionen der Richtung "science of the voice" oder auch "vocology" und der etwa in der Phonetik gängigen ist anhand der beiden folgenden Zitate erkennbar.

J.Sundberg, zur Definition als Resonanz des Vokaltraktes: "This is the most appropriate way of defining the term formant. As a consequence, formants can occur, strictly speaking, only in sounds generated by the human voice organ. However, in some books and articles the reader may meet formant definitions associated with spectrum envelope peaks, which are mostly unaffected by a change of fundamental frequency." (The Science of Musical Sounds, 1991, S. 121).

J. Clark und C.Yallop: "The tract resonances themselves are sometimes referred to as formants, but this is technically imprecise. Formants are a consequence of resonance, not resonance itself." (An Introduction to Phonetics and Phonology, 2nd ed.,1995, S.246)

Besser wäre es natürlich, klare und eindeutige Benennungen zu finden und zu etablieren. Ohne den Anspruch, das von hier aus tun zu können, sei eine Idee dazu angegeben: Der Begriff "Formanten" wird im historischen Sinne benutzt, also im Sinne von bestimmten Frequenzregionen, die bestimmte Wahrnehmungen (Vokale) hervorrufen. Die in einem gegebenen Klang existierenden Regionen vergleichsweise starker Teiltöne werden als "Formantierungen" bezeichnet. Sie sind damit als real existierende Strukturen benannt, die sozusagen Formanten realisieren. Prozesse oder Systeme, die zu solchen Formantierungen führen, wie etwa die Resonanz im Vokaltrakt, werden dann sinnvollerweise als formantierungsbildend bezeichnet.

HINWEIS: Sie finden eine ausführliche Erklärung und Diskussion des Begriffes mit vielen Abbildungen in unserer Reihe "Errata vocologica" -> Formanten
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