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Abteilung
Wissen, Lehrmittel, Diskussion
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Rubrik
Publikationen, Tips & Kommentare
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Thema
Wirklichkeiten von Stimmen

Kristin Westphal: Wirklichkeiten von Stimmen: Grundlegung einer Theorie der medialen Erfahrung

Lang 2002
Zugl.: Gießen, Univ., Habil.Schr.
ISBN 3-631-38665-6

Hinweis
Die Ausliegferung erfolgt am schnellsten über:
Peter Lang AG
Jupiterstr. 15
CH- 3015 Bern
Telefax: 0041319402131
e-mail: customerservice@peterlang.com

Generell
In "Wirkichkeiten von Stimmen" untersucht Kristin Westphal die Verbindungen zwischen verschiedenen Aspekten des Phänomens Stimme, wie: Stimme als Organ, als Empfindungsträger, als Ausdrucksmittel. In diesem Kontext wird die Rolle der Medien für die Stimme, insbesondere auch die Rückwirkung der medialen Verwendung auf die Stimmbenutzung thematisiert. Die vorwiegend anthropologisch, philosophisch und pädagogisch orientierte Untersuchung liefert für alle am Thema Stimme arbeitenden Wissenschaften wichtige Impulse zur Orientierung in der Vielfalt des Gesamtkomplexes. Sie ist somit ein willkommener Beitrag zu besserer interdisziplinärer Verständigung.

Hören und Stimme
Ein spezieller Aspekt sei hervorgehoben: Unsere Vorstellung von Stimme -und somit auch ihre Wirklichkeit- ist weitgehend durch unsere Hörfunktion geprägt. Diese oft vernachlässigte Grundaussage wird in der Studie ausführlich beleuchtet.

Ein reizvolles Angebot an den Leser/Hörer
Im Zusammenhang mit den Zielsetzungen des forum-stimme.de ist auch besonders die Studie zum Hörbewußtsein (Kapitel 4) von Interesse. Die Autorin unterucht experimentell, wie weibliche Stimmen bekannter Perönlichkeiten wahrgenommen werden. Sie stellt dabei subjektive Bewertungen und objektive akustische Auswertungen gegenüber.

Anhand der beigelegten CD hat der Leser die Möglichkeit, sich selbst einen Höreindruck zu verschaffen. Während die Studie selbst nicht so weit ging, subjektive Hörerfahrungen durch das Hinzuziehen von objektiven Fakten zu verfeinern, hat der Leser/Hörer die Möglichkeit, die im Buch gegebenen Fakten als Anregung zu eigenen Hörstudien zu nutzen. Das präsentierte Material ist bereits per se hochinteressant. Unter anderen werden die Stimmen von Virginia Woolf, Ida Ehre, Simone de Beauvar, Ingeborg Bachmann untersucht und vorgestellt. Die feinfühlige Erkundung der Rolle stimmklanglicher Strukturen bei der gesprochenen Informationsvermittlung der prominenten Sprecherinnen ist eine reizvolle Beschäfti
gung für jeden, der sensibel für diese nonverbalen Kommunikationkanäle ist.

Zum Erkenntnisinteresse und Gegenstand der Studie
Dazu schreibt die Autorin:
Meine Forschungsarbeit beschäftigt sich mit Stimme als ein Medium und im Medium. In einer Zeit, in der die Bedeutung der neuen Medien für den Körper diskutiert wird, untersuche ich Stimmen als konkretes Beispiel für ein allgemeines Phänomen.
Die Stimme ist wesentlicher Bestandteil und Träger von Information und darüber selbst an Kommunikation beteiligt, sie ist also auch Information, Geste und Ausdruck. Sie ist Spur des Körpers in der Sprache. Die Stimme ist Vehikel der Rede und gleichzeitig ihre Deutung bzw. ihr Kommentar. Über Stimme zu sprechen findet in und mit der Stimme statt. Darin ist ein Moment der Doppelung enthalten, das jedoch nicht zur Deckung kommt. Stimme entzieht sich einer eindeutigen Verortung. Sie erscheint als Selbstpräsenz, indem ich mich selbst sprechen höre und zugleich als Fremdheit, indem ich mich selbst sprechen höre, wie ein anderer mich hört. Hören ereignet sich als Antwort auf einen Anspruch, der vom Anderen ausgeht, das auch das eigene Andere sein kann. Es gibt eine Differenz zwischen der gehörten und gesprochenen Stimme. Stimme unterliegt nicht nur einem ständigen Wandel und Anpassungsprozeß, sondern sie ist auch vielschichtig. Sie erscheint in ihrer Körperlichkeit, hat Alter, Geschlecht und Identität, sie hat Klang und Sinn, Ton und Bedeutung gleichzeitig. Über Stimme läßt sich nur reden und reflektieren, wenn man das Hören mitbedenkt. Betrachtet man das Hören als einen aktiven Akt, stellt sich die Frage, wie die Stimme und das Hören sich jeweils beeinflussen .
Untersucht werden soll von daher die Stimme als vergesellschaftete, technisch-medial reproduzierte, als leibliche in lebensweltliche Bezüge eingebettete Stimme und als Thema unserer Hörgewohnheiten. Eine wichtige Frageperspektive richtet sich auf das Verhältnis von Absenz und Präsenz, Ferne und Nähe, Natürlichkeit und Künstlichkeit der Stimme. Die Medien vermögen uns zunehmend in der Frage der Originalität zu täuschen. Was ist echt und was ist künstlich hergestellt und manipuliert? Im technischen Medium wird eine andere Wirklichkeit der Stimme produziert. Medien machen diese Differenz bewußt. Die von den technischen Medien hervorgebrachte Wirklichkeit ist eine andere als die an die leibliche Präsenz gebundene.
Das Medium konserviert die Momentaufnahme einer Stimme. Unter den Bedingungen der technischen Möglichkeiten kann eine Stimme wiederholt werden. Diese Wiederholung steht jedoch in Differenz zur Präsenz der unmittelbar geschehenen Rede. Das Konservierte kann in neue Zusammenhänge eines anderen zeitlichen und räumlichen Rahmen montiert werden und bedarf der Präsenz des Hörers. Stimmen können medial verändert werden, das Hören jedoch nicht. Stimmen – wie auch immer medialisiert – müssen gehört werden. Damit, welche Stimmen auch immer, ob „natürliche“ oder medialisierte, gehört werden, bedürfen sie gerade deshalb des Rückgriffs auf die kommunikative Situation des leiblich-sinnlichen Zuhörens (Abhörens). Die Wirklichkeit des Hörers ist eine andere als die Wirklichkeiten der medialisierten Konstruktionen der Stimme.