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RESONANZ - ZUR VERWENDUNG DES BEGRIFFES BEZÜGLICH DER STIMME

Heinz Stolze, Institut für Stimme und Kommunikation, Bremen

in www.forum-stimme.de

letztes update (Fromulierungen, Links, Layout): 12.6.2007

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Resonanz, ein Versuch der Definition
Der Begriff der Resonanz bezieht sich auf folgende Konfiguration: ein schwingungsfähiger Körper wird von einer äußeren Kraft zu Schwingungen angeregt. Die äußere Kraft wirkt periodisch ein. Wenn die Anregungsfrequenz mit einer Eigenschwingungsfrequenz des Körpers übereinstimmt, kommt es zu einem sehr starken Schwingen dieses Körpers. Dieser Fall wird als Resonanz bezeichnet.

Bei diesem Versuch treten schon einige Probleme auf, denn es müssen Begriffe benutzt werden müssen, die ihrerseits erklärungsbedürftig sind: Eigenschwingung, Frequenz, äußere Kraft - dazu unten mehr.

Ein wichtiger Aspekt ist auch, daß die Konfiguration genau beschrieben werden muß. Die "starke Reaktion" bei der Resonanz in der beschriebenen Konfiguration ist zunächst nur das Schwingen des angeregten Körpers. Oft wird dies ohne weiteres damit gleichgesetzt, daß der Körper nun auch viel Schall abstrahlt - vermeintlich mehr, als ihm zugeleitet wurde. Dies wäre aber bekanntlich nur dann möglich, wenn zusätzlich Energie zugeführt würde. Das Abstrahlen ist in der üblichen Konfiguration zur Definition von Resonanz nicht vorgesehen. Wir kommen unten bei der Fragestellung "Verstärkung durch Resonanz" darauf zurück.


Kritik an der Verwendung des Begriffes
Diese Kritik bezieht sich auf die Verwendung in der Literatur zur Stimmwissenschaft und im praktischen und theoretischen Unterricht. Sie ist konstruktiv gemeint in dem Sinne, daß eine Hinterfragung der genauen Bedeutung für die Kommunikation unter allen Interessierten förderlich ist. Sie ist auch für die Unterrichtspraxis von grundlegender Bedeutung. Es ist vollkommen klar, daß die geläufige, ungenaue Verwendung historisch gewachsen ist und keinem einzelnen persönlich angelastet werden kann.

Drei Kritikpunkte stehen zur Diskussion:

a) Klarstellung des Bezuges zur Akustik
Wenn wirklich "Resonanz" im akustischen Sinne gemeint ist, muß dies klar gestellt sein. Dann ist jede auch noch so phantasievolle Verwendung mit individueller Bedeutung unangebracht. Mit dem ehemals beliebten Aphorismus "Mit Resonanz in der Stimme finden Sie auch Resonanz beim Hörer" wirbelt man eher Staub aus der Klamottenkiste auf, als daß man Sachverhalte klärt.

b) Das Mitschwingen eines Körperteiles mit der Stimme wird oft unbesehen als Resonanz bezeichnet
Nicht jedes Mitschwingen ist Resonanz. Das beliebte Zitieren der Übersetzung "re-sonare = wieder-klingen" verwischt die genaue Bedeutung eher als sie zu erhellen.

Unser Definitionsversuch ist andererseits ziemlich eng ausgefallen. Denn wenn eine Eigenfrequenz nur fast getroffen wird, kann es auch noch zu relativ großen Schwingungen kommen. Daher ist es gängig, zu sagen, ein Mitschwingen könne mehr oder weniger resonant sein.

c) Verstärkung durch Resonanz
Wir haben heute einen Verstärkungsbegriff, der die Aussage, daß Resonanz verstärkt, nicht zuläßt. Sie führt nachweislich zu dem Mißverständnis, in einen Resonator gehe ein schwaches Signal hinein, und ein verstärktes komme hinten heraus. Das ist aufgrund einer elementaren, leicht einsichtigen Grundregel der Physik schlicht unmöglich. Am Ausgang kann nicht mehr Energie (pro Zeit) herauskommen als vorn hineingeht, es sei denn, daß eine Energiequelle angezapft werden kann. Das ist bei einem Resonator -zum Beispiel dem Vokaltrakt- nicht der Fall. In Anbetracht der Bedeutung der Frage, ob mit einem Resonator ein Schall stärker gemacht werden kann, sei diesem Thema ein separater Abschnitt gewidmet.


Verstärkung durch Resonanz - vielleicht doch?

Die "Verstärkung durch Resonanz" findet man auch in den Schriften hellster Köpfe, unter ihnen v. Helmholtz. Wie wurde sie damals verstanden? Wieso wird sie heute mißverstanden?

Der Kürze wegen kommen wir direkt zum Kern, der am Beispiel eine Saite beschrieben sei: Saiten können nur recht schlecht Schall abstrahlen. Sie haben zwar viel Kraft, um die umgebenden relativ leichten Luftmoleküle anzustoßen, aber dabei können sie nicht viel Energie übertragen. Das ist vergleichbar einer Lokomotive, die gegen einen Tischtennisball fährt. Sie kann diesem zwar ihre Geschwindigkeit aufprägen, aber viel Energie kann er ihr nicht abnehmen, da er so leicht ist. Der Energieabfluß von einer Saite läßt sich verbessern, indem die Schwingung auf eine größere Holzfläche übertragen wird, die nun mitschwingt und viel mehr Luftteilchen in Bewegung setzen kann als die schmale Saite. Man hört lauteren Schall. Dieser ist also doch verstärkt! - oder etwa nicht?

Richtig!- wenn man damit meint: gegenüber der Konfiguration ohne dem Holzboden. Wenn man sagt, der Boden sei deswegen also ein Verstärker, öffnet man dem Mißverständnis heutzutage Tür und Tor. Denn heute versteht man unter einem Verstärker ein Gerät, das ein schwaches Signal in eine starkes mit derselben, vergrößerten Verlaufsform umwandelt, wobei eine Energiequelle (Netzspannung) benutzt werden muß. Unser Verstärkungsbegriff bezieht sich also auf einen Sachverhalt innerhalb einer Konfiguration - nicht auf den Vergleich von zwei verschiedenen Konfigurationen.
In der Konfiguration mit dem Boden an der Saite fließt bereits von der Saite in diesen mehr Schallenergie, als die Saite im Fall ohne Boden an die Luft abstrahlt. Der Holzboden verstärkt also nicht, sondern ermöglicht eine effizientere Abstrahlung. Dazu muß er nicht unbedingt in Resonanz sein, es reicht wenn er genügend schwingungsfähig ist. Im resonanten Fall ist so ein Boden besonders wirkungsfähig, daher der Begriff "Resonanzboden".

Je resonanter der Boden ist, umso mehr entsprechen die Schwingungen seinem eigenen Schwingungsverhalten. Der abgestrahlte Schall wird davon mehr geprägt als vom anregenden Signal, dieses wird also nicht naturgetreu vergrößert, sein Klang wird verfärbt. Auch insofern entspricht die Funktion keineswegs dem, was ein guter, klanggetreuerVerstärker leisten sollte.
Bei der Stimme sind die Verhältnisse im Prinzip ähnlich. Der Vokaltrakt bestimmt die Abstrahlungseigenschaften von der Glottis (Öffnung zwischen den Stimmlippen) her, auch wenn diese ohne Vokaltrakt nicht so ungünstig wären wie bei einer Saite. Andererseits ist die akustische Verkopplung zwischen Vokaltrakt und Stimmlippenbewegung komplexer und sensibler als die zwischen Saite und Resonanzboden - dies ist allerdings ein Thema für sich, das hier nicht abgehandelt werden kann. Jedenfalls gilt auch hier die Energieerhaltung: im Vokaltrakt mag noch so eine großartige Resonanz herrschen, am Mund kann nicht mehr Energie entfließen als an der Glottis eingebracht wird. Die Resonanz ist wegen der weichen Wände, die Schall dämpfen (=Schallenergie entziehen), übrigens viel geringer als in den Rohren von Blasinstrumenten. Die Betrachtung der Schwingungszustände zeigt: auf den Resonanzfrequenzen des Vokaltraktes wird von vornherein besonders viel Energie pro Zeit (=Leistung) seitens der Glottis eingebracht.

Auch durch die diversen Knochen und Höhlen, die mitschwingungsfähig sind, ist natürlich keine echte Verstärkung durch Resonanz möglich.


Offene Begriffe unseres obigen Definitionsversuches
Zu den Begriffen Eigenschwingung, Frequenz, Kraft sind einige Anmerkungen zu machen.

Eigenschwingung
Wir betrachten eine Schaukel. Schiebt man sie ein kleines Stück aus der Ruhelage, und läßt sie dann los, so schwingt sie für sich allein weiter. Diese Schwingung, die die Schaukel frei von äußeren Kräften (außer der Schwerkraft) ausführt, ist eine Eigenschwingung. Die Stärke der Schwingung (maximale Auslenkung = Amplitude) hängt von der Stärke der Anregung ab. Ihre Verlaufsform aber und insbesondere die Periodendauer ist nur durch die Eigenschaften der Schaukel und die Schwerkraft bestimmt. Der Kehrwert der Periodendauer wird als Periodenfrequenz bezeichnet. Beispiel: zwei Schwingungen pro Sekunde entsprechen einer Periodenfrequenz von 2 Hz (Hertz).
Die Frequenz der Eigenschwingung heißt Eigenfrequenz. Wenn die Schaukel in dieser Frequenz angestoßen wird, kann sie aufgeschaukelt werden. Dieses Aufschaukeln ist Resonanz.
Schwingungsfähige Körper oder Luftsäulen haben im allgemeinen mehrere Eigenschwingungen und Eigenfrequenzen. Man spricht bezüglich der Frequenz von Resonanzstellen.

Frequenz

Es ist zu bemerken, daß die moderne Anwendung des Frequenzbegriffes sich mit der gängigen einfachen Definition als Wiederholungsrate keineswegs verstehen läßt. Eine ausführliche Diskussion des Begriffes "Frequenz" finden Sie unter Erratum 7: Frequenzdefinition.
Die Frequenz wird als die Grundlage einer Repräsentation von Signalen erklärt, die an Zuständen orientiert ist und die eine Alternative zum Denken in der Kategorie des Zeitlichen und in Ereignissen darstellt. Die modernen Kenntnisse der Funktion der Stimmerzeugung und des Hörens können ohne eine gründliche Beschäftigung mit dem Frequenzbegriff nicht nachvollzogen werden. Auch die Beziehungen zwischen physisch vorhandenem Schall und gehörtem Klang sind nur mit Kenntnissen über die Frequenzdarstellung (-> Frequenzdarstellung) verständlich.

Randbemerkung: Für eine quantitative, genaue Beschreibung von Resonanz ist es sinnvoll, ein Anregungssignal zu wählen, das nur eine Frequenz enthält. Ein solches Signal stellt sich als sinusförmiger Verlauf dar. Es wirkt ununterbrochen mit wechselnder Stärke auf die Schaukel ein.

Kraft
Es kann hier keine Erklärung des Begriffes gegeben werden. Stattdessen soll ein Aspekt angesprochen werden, der bei der Betrachtung der Stimmfunktion eine Rolle spielt.
Kennt man die einwirkende Kraft, kann man die Bewegung eines Körpers berechnen. Beim Zusammenwirken von zwei Körpern, etwa einem Zusammenstoß, kennt man im allgemeinen sehr wohl die Geschwindigkeiten der Körper und ihre mechanischen Eigenschaften. Die Kraft, mit der ein Körper auf den anderen einwirkt, ist bei dynamischen Prozessen nicht so direkt vorgegeben. Insbesondere "bestimmt" nicht der eine (als "einwirkend" gedachte) Körper allein, wie groß diese Kraft ist. Wer einen anderen boxen will, mag sehr viel Kraft in einem Muskel aufbringen, wenn der andere geschickt zurückweicht, wird er kaum Kraft an der Aufschlagstelle erfahren. Wenn er mit exakt derselben Bewegung auf einen Felsen trifft, der absolut nicht nachgibt, könnte die Kraft des Aufstoßes ihm leicht ein Eigen-KO bescheren.
Für die Anregung des Vokaltraktes gilt analog: der " akustische Generator" bestimmt keineswegs per se, mit wieviel Kraft er an der Luftsäule im Vokaltrakt angreift. Dementsprechend ist durch ihn allein ebensowenig festgelegt, wieviel Energie in den Vokaltrakt in Form einer Schallwelle übertragen wird. Hier liegt von vornherein ein Wechselspiel beider Teilsysteme vor. Die Trennung zwischen der Schallquelle im Kehlkopf und dem Mitschwinger (Vokaltrakt) ist allenfalls ein vereinfachtes Denkmodell, um gewisse Sachverhalte zu erläutern. Als gültige Beschreibung der akustischen Realität taugt sie nicht -höchstens für Sonderfälle, die aber jeweils genau zu benennen und zu erläutern wären.
Mehr dazu finden Sie in Erratum 2

Verbesserte Vorstellungen zur Klangbildung: Kosonanz
Wenn ein Sänger oder Sprecher sich vorstellt, er habe in sich an einem Ort eine Schallquelle, die einen Schall aussende, der dann woandershin gelange und dort -in einem Resonator- umgebildet werde, so trifft er damit nicht die Realität der komplexen Wechselwirkung zwischen der "Quelle" (die mechanische Energie in Schallenergie umwandelt) und dem "Resonator". Leider wird der Begriff "Resonanz" üblicherweise im Sinne einer solchen Entkopplung von Quelle und Resonator verstanden. Gerade für das optimale Sing- oder Sprechgefühl wäre es viel besser, von vornherein und generell das Zusammenspiel beider Komponenten zu denken und zu fühlen. Dafür wurde der Begriff "Kosonanz" vorgeschlagen, der dies besser ausdrückt und über diese akustische Funktion hinaus im Sinne eines klanglichen Zusammenwirkens anwendbar ist. Nähere Ausführungen dazu finden sich in Stolze, H.: Klangkontakt und Kosonanz: Konzepte eines Stimmtrainings, Sprache-Stimme-Gehör 23 (1999) 88-97. Sonderdrucke können Sie per e-mail anfordern (solange Vorrat reicht).

Ein erstes Facit: Resonanz = Stopp + Nachdenken
Sicher ist es utopisch, den Begriff der Resonanz bezüglich der Stimmfunktion bereinigen zu können. Für den kritischen Leser oder Hörer ist es aber wichtig, immer wenn er auf diesen Begriff trifft, zu prüfen, was genau gemeint ist, und ob dies tatsächlich haltbar ist. Salopp formuliert: "Resonanz" darf nicht mehr als ein "Joker" durchgehen, etwa in dem Sinne, der Begriff sei ja bekannt, und Resonanz selbst sei eben immer etwas Gutes für die Stimme. Stattdessen sollte "Resonanz" stets ein inneres "Stop-Zeichen" hervorrufen, im Sinne von "Halt! Jetzt erstmal genau nachdenken und prüfen, bevor ich das Gesagte oder Geschriebene wirklich abnehme"
.


Eine recht elementare Betrachtung zur Resonanz einer Schallwelle in einem Resonator, der als Modell für den Vokaltrakt gelten kann, finden Sie unter: Durch Reflexionen zu Resonanz.


Eine ausführliche Klarstellung zum Thema "Verstärkung durch Resonanz" finden Sie in Erratum 1 , eine Kritik an der üblichen Verbreitung des Primärklang-Filter-Modells, die den Energieerhaltungssatz nicht berücksichtigt in Erratum 2.

Die Resonanzen des Vokaltraktes werden in der modernen Vokologie als Formanten bezeichnet. Allerdings ist der Begriff "Formant" in der Wahrnehmungsforschung bereits früher und in anderem Sinne verwendet worden, und auch namhafte Phonetiker würden ihn lieber anders definiert sehen. Eine ausführliche Darstellung zum Begriff Formant und seiner Verwendung finden Sie unter: Erratum 9: Formanten


Anmerkungen sowie ausführliche Erklärungen zu einer Reihe von fehlerhaften Vorstellungen über die Stimme finden Sie unter: Errata Vocologica.


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Weitere Informationen zu Begriffen des Stimmtrainings finden Sie im Glossar Stimmtraining
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